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Würdevolle Gedenkfeier zum Volkstrauertag

Anlässlich des diesjährigen Volkstrauertags lud die Gemeinde Bodenheim auch in diesem Jahr die Bürger unter Mitwirkung etlicher Vereine wieder zur traditionellen Mahn- und Gedenkfeier ein. Die in diesem Jahr von Ortsbürgermeister Thomas Becker-Theilig gehaltene Ansprache war neben dem historischen Bezug zu den Weltkriegstoden insbesondere von den aktuellen Ereignissen um die Anschläge auf Walter Lübcke, dem Synagogenanschlag von Halle sowie von dem allgemein verrohenden gesellschaftlichen Umgang geprägt. Die Feier wurde musikalisch vom Bodenheimer Blasorchester sowie dem Gesangsverein Concordia würdevoll eingerahmt. Zum Abschluss erfolgte die gemeinsame Kranzniederlegung durch die Vorsitzende des VdK, Heidi Schlütter, und des Bodenheimer Ortsbürgermeisters.
Anlässlich des Todes von Karl-Gerhard Guttandin gedachte die Feiergemeinde dessen Verdienste als langjährigen und eindrucksvollen Redner.

Rede des Ortsbürgermeisters zum Volkstrauertag 2019 am Gedenk- und Mahnmal der Ortsgemeinde Bodenheim
Sehr geehrte Anwesende der heutigen Gedenkfeier.
Wie in den Jahren zuvor gedenken wir auch am heutigen Volkstrauertag der Millionen von Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft aller Völker und Nationen, vornehmlich aus den beiden Weltkriegen.
Ich werde jedoch aus aktuellem Anlass in diesem Jahr konkrete Bezüge in die Gegenwart herstellen.
Vor 80 Jahren wurde von deutschem Boden aus, der Zweite Weltkrieg ausgelöst. Ein Boden der vergiftet war von dumpfer, bösartiger Grundstimmung. Die ehrliche, aufgeklärte Geschichtsbetrachtung weiß jedoch zu gut, dass es diese negative Grundstimmung nicht nur in Deutschland gab. In etlichen anderen Staaten in und außerhalb Europas –man denke an die japanischen Massengreuel in China-, herrschten ähnliche Grundstimmungen, die es Despoten leicht machten den passenden Nerv der verunsicherten und leicht zu beeinflussenden Menschen zu treffen. Diese bleierne Grundstimmung war der Nährboden für eine am Ende stehende apokalyptische Bilanz von 6 Millionen ermordete europäische Juden, von über 50 Mio. Kriegs-Toden. Nicht zu vergessen die Millionen Verletzte, Geschundenen, Vertriebenen. Dies verpflichtet uns Deutsche ganz besonders, mit der uns zukommenden Verantwortung, dem Vermächtnis: Nie wieder Krieg, nie wieder solches Leid.
Die vorgenannten Zahlen, dieses verursachte unvorstellbare Leid, erscheinen aus heutiger Sicht gleichermaßen unwirklich, fremdartig, unerträglich und vor allem so entfernt. Ich vertrete durchaus die Auffassung, dass das deutsche Volk die ihr zustehende Verantwortung -auch Schuldanerkennung- in der Vergangenheit auf eine ganz eigene kollektive Art recht gut bewältigt und verinnerlicht hat. Stets hat die Erinnerung an die Opfer dabei eine zentrale Rolle übernommen. Dies hat über viele Jahre funktioniert. Jedoch die aktuell bekannten Versuche, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, Versuche die Verbrechen schön oder klein zu reden, zu relativieren, dies tötet die Opfer damit ein zweites Mal. Dies ist unerträglich und darf nicht zugelassen werden.
Diese dummen und plumpen Versuche werden jedoch noch übertroffen von konkreten Mordanschlägen der letzten Monate, verübt von z.T. den gleichen Kreisen, die dokumentieren, dass wir nun die nächste Eskalationsstufe erreicht haben. Konkret ausgedrückt. Am 1. Januar in Bottrop, Essen und Oberhausen bei dem 10
Asylbewerber mit einem Auto als Waffe getötet werden sollten und dabei verletzt wurden, der feige Mord an Walter Lübcke, am 9. Oktober der Synagogen-Anschlag in Halle an der Saale mit zwei Toten und zwei Verletzten nach Schusswaffengebrauch,
Ganz bewusst unternehme ich mit Ihnen nun einen kleinen Exkurs zur Thematik „Grenzen“. Wir wissen, dass die Grenzen unserer Länder etwas Trennendes, aber auch Verbindendes haben. Beim Wort „Grenzen“ kommt mir auch der Begriff „Abgrenzung“ und „Ausgrenzung“ in den Sinn. Beides ist der Nährboden für Vorurteile, Misstrauen und Berührungsängste, es ist der Beginn für den von mir benannten Begriff eines vergifteten Bodens, einer negativen Grundstimmung.
Wiederum beim Begriff Grenzüberschreitung fallen mir jüngste Ereignisse ein, die früher nicht vorstellbar waren. Es findet mitten unter uns statt. Letzte Woche erst im benachbarten Oppenheim (Sandra B.) oder gestern in der AZ zu lesen der Hass-Brief an die Landwirtsfamilie Mattern in Fürfeld. Aber auch hier in Bodenheim, finden sich in den modernen Kommunikationsmedien Äußerungen rassistischer, populistischer und menschenverachtender Art, die man sich vor kurzem nicht getraut hätte. Eine Verrohung des Umgangs und im alltäglichen Sprachgebrauch ist zu beobachten.
Dies muss gestoppt werden.
Um so mehr müssen Übergriffe, grenzüberschreitend in verbaler und/oder körperlicher Art, gegenüber Verantwortungsträger (Polizisten, Rettungskräfte, Funktionsträger, Politiker) von der Gerichtsbarkeit hart geahndet werden. Zum Schutz der Angegriffenen und zum Schutz unserer wertvoll aufgebauten Gesellschaftsstrukturen und der darin lebenden und engagierten Menschen. Anders, wie bei den Drohungen z.B. gegen Renate Künast geschehen, muss die Gerichtsbarkeit verbale angstauslösende Grenzüberschreitungen endlich ahnden und darf diese nicht als hinnehmbar einstufen. Geschieht dies nicht, löst dies Verunsicherung aus, das anormale wird zur Normalität. Der Glauben an bislang funktionierende Staatsstrukturen schwindet. Auf der anderen Seite bestärkt dies Jene, die die bestehenden Staats- und einst gesunden Gesellschaftsstrukturen sowieso nur ablehnen bzw. nach ihren egomanen Vorstellungen umkrempeln wollen.
Auch in unserer gemeindlichen Gemeindearbeit ist die veränderte Kommunikation spürbar geworden. Insbesondere durch soziale Medien ist Kommunikation unmittelbarer und direkter geworden, leider immer mehr häufiger in abwertender Art. Grenzen in der zwischenmenschlichen Kommunikation werden immer häufiger überschritten. Andere werden abgewertet und dies erfolgt mit dem Zweck für sich, für
Partikularinteressen, manchmal für die eigene Gruppierung den größten Nutzen zu erreichen. Es werden Gerüchte und Unterstellungen geschickt platziert und gestreut, Halb- und Unwahrheiten überzeugend verbreitet mit der Absicht diese bei manchem Gutgläubigem in scheinbare Fakten umzuwandeln.
Dies alles findet inmitten von uns statt, ganz nah. Ich muss dies leider selbst regelmäßig erleben, lesen und hören. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich daran schon fast gewöhnt habe. Es verändert mich aber, macht mich stumpf. Dazu bin ich jedoch nicht mehr bereit.
Es muss ein Ruck durch uns gehen, der dieser Entwicklung ein Ende setzt, der den Grenzüberschreitungen die Grenzen aufzeigt. Lassen Sie uns vielleicht gemeinsam oder jeder auf seine Art Zeichen setzen.
Aus dieser Stimmungshaltung heraus habe ich vorgestern für mich dieses rote STOPP-Schild gegen Grenzüberschreitung als offenen Ausdruck meines Protestes erstellt. Es lässt sich vielleicht den richtigen Adressaten im richtigen Moment als hard-Copy, als SCAN oder als Handy-Bild unter die Nase halten. Ich habe mir vorgenommen mich künftig bei Grenzüberschreitungen dem Gegenüber und seinem Anliegen erst wieder zuzuwenden, wenn dieser verbal abrüstet, wieder wertschätzend und sachorientiert argumentiert.
Lassen Sie unsere Zukunft und unsere Leitbilder nicht orientieren an den Ereignissen und Bilder des Krieges, der vor 80 Jahren über uns einbrach. Richten wir unser Denken und Handeln doch lieber an den 74 Jahren Friedenszeit nach 1945. Oder an das Ereignis der unblutigen und friedlichen deutschen Wiedervereinigung. Dies sind doch die wahren Geschenke des Lebens und nicht die Kraft zehrenden Auseinandersetzungen. Auch ich muss mich öfter an diese unvergleichlichen Glückgefühle, an meine feuchten Augen und wahrscheinlich an mein ungläubig ausschauendes Gesicht an den Tag der deutschen Wiedervereinigung rückbesinnen. Dies war vor genau 30 Jahren, wir waren mittendrin, dabei, und sind damit Teil eines einzigartigen wahren Märchens geworden. Solche Rückbesinnung sollte Demut und Respekt und vor allem Mut für eine optimistische Zukunft erzeugen. Nur in Friedenszeiten, auch im Gemeinde- und Nachbarschaftsfrieden entwickelt sich Positives. Nur so konnten auch die hier in Bodenheim verwirklichten Projekte (Bürgerhaus, Verkehrsvorhaben, Schaffung neuen Wohnraums, Sportstätten, Feuerwehrgerätehaus, Grünflächen, Kinderspielplätze, Kinder-gärten) realisiert, gemeinsam gestaltet und fortentwickelt werden. Worauf wir mit Recht stolz sein können. In Zeiten des Unfriedens hingegen findet man keine Zeit sich mit der Zukunft und des Gestaltens zu beschäftigen.
Meine Recherchen für die von Hass und Krieg dominierte Zeit zwischen 1933 bis 1945 ergab für Bodenheim, dass in dieser Zeit keinerlei Fortentwicklung, keine Maßnahmen in Bodenheim stattfanden. In Kriegszeiten, in unruhigen Zeiten wird man gezwungen sich anderen Schwerpunkten anzunehmen. Dies kann beabsichtigt und System sein.
Deshalb: Verhindern/Vermeiden wir Grenzüberschreitungen die andere in Bedrängnis bringt, fördern wir die Wertschätzung Anderer, beginnen wir mit dem Frieden in unserem Aktionsfeld und lassen sie uns Grenzen erweitern wo es für Ausgleich sorgt.
Gedenken Sie nun mit mir an alle Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen und verbrecherischer Attentate. Und lassen Sie uns Verantwortung als Bürgerpflicht für gemeinsam verantwortungsvolles Miteinander übernehmen.
Weiterhin gedenken wir an dieser Stelle an meinen zum Freund gewordenen Karl-Gerhard Guttandin. Karl-Gerhard Guttandin stand noch vor einem Jahr an dieser, an meiner Stelle. Er war inzwischen fast erblindet. Über 30 Jahre hatten wir Gelegenheit seine völlig frei gehaltenen Reden gebannt und beeindruckt zuzuhören. Karl-Gerhard Guttandin, verstarb mit 71 Jahren am 23. Juli 2019. Gedenken und danken wir ihm, dass wir Jahr für Jahr Zeuge seiner einzigartigen Redekunst sein durften.
Ich bitte Sie nun um eine Schweigeminute.

Redner/Verfasser: Ortsbürgermeister Thomas Becker-Theilig Ortsgemeinde Bodenheim Rededauer: ca. 12 Minuten

Urheberrechtlicher Hinweis: einige wenige Textpassagen sind aus veröffentlichten Reden anderer Verfasser entnommen/angelehnt
Bodenheim, den 17. November 2019

Artikel verfasst: 29.11.2019