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Beim zweiten Mal gleich doppelt!

Kultur im (Dolles)Park I – Comedy und Kabarett

Kulturangebote in Pandemiezeiten sind immer noch mit Schwierigkeiten verbunden. Neben einem stringenten (Corona-)Konzept bedarf es beherzter Initiative, um Bürger*nnen Kultur zugänglich zu machen. Das ist den Gebrüdern Johannes und Manuel Christ einmal mehr gelungen. In Zusammenarbeit mit der Privaten Musikschule Laubenheim präsentierten die beiden Inhaber von „Mayence Music Management“ zum zweiten Mal die „Kultur im Park“. Sogar in doppelter Auflage: Anfang August 2021 in Laubenheim und vom 19.- 22. August im Bodenheimer Dollespark, allerdings mit einem ziemlich veränderten Festivalprogramm…

Vor Beginn der Auftaktveranstaltung am 22. August sprachen Ortsbürgermeister Thomas Becker-Theilig, der für die Kultur zuständige Beigeordnete Andreas Kappel und der Ortvorsteher von Laubenheim Gerhard Strotkötter ihren Dank an alle aus, die zur Ausrichtung dieses Events beigetragen hatten und wünschten einen guten Verlauf.

Und dann erschien sie auf der Bühne und beherrschte diese zwei Stunden lang wie ein Fels in der Brandung:

Daphne de Luxe – mit „Comedy in Hülle und Fülle“

Sie brachte das Publikum zum Dauerlachen mit Geschichtchen und Geschichten aus Ihrem Künstler- und Privatleben (Oma: „Kind iss, dicke Kinder sind schwerer zu entführen.“), kam vom Hölzchen aufs Stöckchen (Freundin: „Den muss ich Dir erzählen …“), um schließlich treffsicher ihre Pointen zu setzen.

De Luxe Themen thematisierte die Corona-Zwangspause für Kulturschaffende („Vorher ackern wie eine Hafendirne und dann Entzugserscheinungen“). Die Künstler-Publikumsbeziehung bei Autokinos („Das ist, wie wenn man mit einem Mann schläft und der befindet sich drei Zimmer weiter.“). Die Motivation zum Abnehmen (Kollege: „Kauf Hosen ein paar Nummern kleiner“). Ihre wachsende Zuneigung zum Osten (Kollegin: „Versuchst du, deinen Solidaritätszuschlag zurückzuholen?“). Ihren Sprachfetischismus („Ühü“ - sächsisch Klebstoff; hing am hang - jap. Bergsteiger; wa da ma ha da - arab. Glatze). Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche und dem Buddhismus (Schatten versus Licht) und ihr Verhältnis zur AfD („Parteispenden heißen ? Braunkohle.“).

Immer wieder wendete sich die Comedy-Walküre an ihre Geschlechtsgenossinnen mit der Botschaft, ungeachtet vom eigenen Äußeren mit erhobenem Haupt durch das Leben zu gehen. Dabei sparte sie nicht an geballter Selbstironie („Aufgrund meiner ausgeprägten Karosserie bin ich heute euer Appetit-Häppchen.“). Sie besang die „Dicken Mädchen“, die die besten sind, die schönsten Namen haben und die vom Himmel gesandt die Männer verrückt machen.

Im Verlauf des Abends folgten Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“, ein französisches Chanson (Je ne veux pas travailler), Das Lied vom „Hund“, der vor dem Alleinsein bewahrt und die mit griechischer Musik unterlegten „Sexbombs“ von Tom Jones.

Ob volkstümlich, rockig oder romantisch, ob in Deutsch oder einer Fremdsprache, ob im Sitzen oder Stehen, Daphne de Luxe beherrschte mit ihrer sonoren Altstimme den Raum und zeigte eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Das Publikum dankte es ihr mit stehendem Applaus und der Forderung nach Zugaben: Shoppen in Hamburg und „Obala“ (Obstsalat) beim Chinesen sowie Elvis‘ „Can’t help falling in love“. Dann war Schluss. Leider.

Drei Tage hatte es sich zurückgehalten, das Regenwetter. Doch am letzten Festivalabend, mitten im Auftritt von

Sven Garrecht

überzog ein zehnminütiger Schauer das Festivalgelände. Die Veranstaltung musste unterbrochen werden. Zum Glück blieb die Technik heil und die Show konnte weitergehen. Seine kurzweilige Show begann der Seligenstädter Liedermacher mit einem Song über die Umkehrung des geschlechterkonformen Verhaltens. Begleitet von seiner dreiköpfigen Band intonierte er am Klavier „Tut mir leid mein Schatz …“, dass das Bett schon gemacht, geputzt, gekocht … ist schlussfolgerte: „Ich bin ein Schwiegermutterschwarm.“ Es folgte der „Kleinstadttiger“, ein Gigolo in fortgeschrittenem Alter mit zu enger Hose und neuer Hüfte. Bei der Jagd auf ‚heiße Katzen‘ taugt er aber bestenfalls zu deren Bettvorleger. Dann besang Garrecht seine Helden, die Schüler von heute. Ohne moralischen Zeigefinger lobte er deren umweltbewusstes Verhalten und endet mit der Feststellung, dass braune Flaschen in den Glascontainer und nicht in den Bundestag gehören. In einem ‚Liebeslied’ outete er sich als Knöllchenjäger und begründete dieses Verhalten mit einer Liebeserklärung an den PO einer POlitesse.

Das Gedicht „Raumschiff“ befasste sich ausführlich mit einem Hund, dem er erst in der letzten Zeile Pinkelverbot in einem Raumschiff erteilt. Hunde waren auch Thema bei

Lars Reichow(s) – Wunschkonzert

Ausgehend vom Familienhund Orban stellte Reichow beißend ironisch die deutsche Vereinsmeierei auf den Prüfstand, die sich doch bitte überall engagiert, hilft, soviel macht. Letztlich nur um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, wie toll man doch sei. Und trotzdem, „Wir sind die Jammertaler“ Nummer eins. Wir haben alles vom Besten, leisten uns alles und wollen überall die Ersten sein, konterkarierte Reichow die deutsche Gesellschaft als ewig unzufriedene. Apropos „alles haben“: im rasant vorgetragen App-Song nimmt er das Für-alles-ne-App-haben auf die Schippe, erfindet die irrwitzigsten Applikationen für alle nur denkbaren Lebenssituationen bis hin zu einer App, die er nur zuhause nutzt: die App-laus-App.

Wer Lars Reichow kennt, weiß, dass er zu brisanten Themen Haltung zeigt. So stellte er die Vakzinparade vor (Sputnik V, ein Reinigungsmittel für Pipelines; Sinopharm mit Peilsender …) und endete mit der Bemerkung, es könnte demnächst ungemütlich für Ungeimpfte werden: „Ja was denn sonst!“ In „Wenn du der Meinung bist“ verurteilte er die braune Gefahr („Was bist du für ein widerlicher Mensch“), richtete einen Appell an die Menschlichkeit und beschwor, nie wieder zu schweigen. Spöttisch reagierte er auf den Mann, der am wenigsten weiß, was er will - Boris, der kleine Trump und die Verkörperung des Brexits schlechthin. Nach einem Exkurs durch das englische Königshaus („Philip, ein ganz großer der Comedy“) resümierte er, dass die Inselbewohner erst dann den Wert Europas erkennen werden, wenn sie einsehen, wie schlecht ihre Küche ist.

Abseits von Übertreibung, Spott und Ironie zeigte Reichow seine nachdenkliche Seite, wenn er über der Mitte des Lebens sinniert. Über das älter werden, über das Ende des Lebens bis zu dem Moment, in dem man die Augen für immer schließt. Nach dieser Ballade setzte der Beifall verzögert ein und war verhalten.

Einen Abend mit einem so begnadeten Kabarettisten, Pianisten und Entertainer wie Lars Reichow kann man nicht beschreiben. Man muss den Klaviator auf der Bühne erleben. Und wenn uns allen die Kälte nicht so in die Knochen gezogen wäre, wäre es sicher nicht bei einer Zugabe geblieben.

Artikel verfasst: 18.09.2021